Informationen, Konzepte und Materialien zum Interkulturellen Musikunterricht

Texte ("Klassiker") zum Download

oder: Eine kleine Geschichte der Interkulturellen Musikerziehung in Deutschland

Die vorliegende Sammlung von Grundlagentexten kann jederzeit ergänzt werden. Ich bitte alle einschlägigen Autor/innen, mir ihre Publikationen zu nennen.

Jens Peter Reiche u.a.: Musik der Türkei [im Unterricht]. Ein Erfahrungsbericht (1980)

Die Autoren dieses Praxisberichts aus dem Hamburger Schulalltag integrieren den "musikethnologischen" Ansatz der 1970er Jahre in Feldstudien und Begegnungen mit Türk/innen, die in Hamburg leben (und deren Kinder auch Musikunterricht an Hamburger Schulen besuchen).

Irmgard Merkt: 17 Thesen zur Interkulturellen Musikerziehung (1983)

Am Ende Ihrer Dissertation "Deutsch-türkische Musikpädagogik in der Bundesrepublik" formuliert Irmgard Merkt 17 Thesen, die als "Gründungsschrift der Interkulturellen Musikerziehung in Deutschland" angesehen werden müssen. Foto: aus Irmgard Merkts Arbeitsheften für den Musikunterricht "Türkische Musik" von 1985.

Irmgard Merkt: Interkulturelle Musikerziehung (1993)

10 Jahre nach den "17 Thesen" formuliert hier Irmgard Merkt den Schnittstellenansatz: "Schnittstelle ist musikalisches Material, das von deutschen und ausländischen Kindern und Jugendlichen so musiziert werden kann, daß die jeweiligen spezifischen Merkmale der Musikkultur erhalten und respektiert bleiben."

Carola Schormann: Gegen Folklorismus, Motivation der Schüler (1996)

Die Autorin bringt Erfahrungs- und Schülerorientierung mit Interkultureller Musikerziehung in Verbindung und versteht "Schnittstelle" anders als Irmgard Merkt: "Es geht nicht darum, eine musikalische oder kulturelle Schnittstelle zu finden, was letztlich wieder methodisch auf einen Vergleich hinaus liefe, son­dern vielmehr darum, als Einstieg etwas zu wählen, in dem Jugendliche sich und ihre Probleme in irgendeiner Form wiederentdecken können."

Volker Schütz: Umgang mit dem Fremden als Weg zum Eigenen (1997)

Volker Schütz geht von der multikulturellen Verfasstheit der Gessellschaft aus. Interkulturelle Musikerziehung muss nicht in die Ferne bllicken! "Das Eigene, unsere derzeitige Musikkultur mit ihrer multikulturellen Vielfalt und all den daraus erwachsenen Differenzen und Fremdheiten, wird zu einem wesentlichen Arbeitsfeld der IME. Mithilfe ihrer Methoden könnte es gelingen, gegenseitigem Verständnis, Toleranz und Austausch zwischen den Teilhabern unterschiedlicher Teilkulturen innerhalb unserer eigenen Gesellschaft wesentlich zu befördern".

Volker Schütz: Transkulturelle Musikerziehung (1998)

Angeregt durch Wolfgang Welsch' "Transkulturalität - Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen" (1994) formuliert Volker Schütz die "multikulturelle Verfasstheit" des "Eigenen" von 1997 in eine transkulturelle Verfasstheit um und verweist mit Welsch auf die Problematik des Begriffs "interkulturell", weil dieser einen Herder'schen (kurz darauf 2000 von Dorothee Barth kritisierten) hegemonialen Kulturbegiff reproduzieren könne. Dennoch steht Schütz voll und ganz hinter allen Zielen des Ansatzes von Merkt 1993 undgesteht, dass er noch kein neues Rezept für den Musikunterricht angeben kann.

Thomas Ott: Unsere fremde Musik. Zur Erfahrung des "Anderen" im MU (1999)

In seiner Kölner Antrittsvorlesung nimmt Thomas Ott indirekt auf Schütz 1997 Bezug und differenziert nun nicht wie Schütz "das Eigene" sondern "das Fremde", indem er die Modi des Fremderlebens von Ortfied Schäfter an der Musik (vor allem "Schwarzafrikas") ausführt. In einem abschließenden Beispiel eines dunuba-Festes erwähnt Ott, "daß es externe Bereiche[= "Fremdes"] gibt, die prinzipiell nicht aneignungsfähig sind und daher realistischerweise (und nicht nur aus ethischer Überzeugung) in ihrem autonomen Eigenwert respektiert werden müssen". Hier nimmt Ott die Kritik der Kulturellen Aneignung, die 20Jahre später auch ihm gegenüber formuliert wurde, vorweg.

Wolfgang Martin Stroh: Das Projekt "eine welt musik lehre" (1999/2000)

Anlässlich der Begründung meines Projekts "eine welt musik lehre" (einem Konzept für die Musiklehrer/innenausbildung an Universitäten) spreche ich noch expliziter als Schütz 1997 von Multikulturalität. Eine zentrale Zielgröße der Interkulturellen Musikerziehung ist die "multikulturelle Persönlichkeit", die sich in einer multikulturellen Gesellschaft aktiv, bewusst, selbstbestimmt und sozial einbringen kann.

Dorothee Barth: Zum Kulturbegriff in der Interkulturellen Musikerziehung (2000)

Auf derselben AMPF-Tagung, auf der ich die "eine welt musik lehre" vorgestellt habe, gibt Dorothee Barth Einblick in ihr Dissertationsvorhaben, das sie bei. Hermann J. Kaiser in Hamburg durchführt. Sie sortiert die Materialien der Interkulturellen Musikerziehung nach den dahinter stehenden Kulturbegriffen. Diese wird sie dann 2008. in ihrer Dissertation "Ethnie, Bildung oder Bedeutung. Zum Kulturbegriff in der interkulturell orientierten Musikpädagogik" (bzw. bereits 2006 beim AMPF) auf den Punkt bringen und damit den "Kultur-Standard" der weiterführenden Interkulturellen Musikpädagogik setzen. (Ich erinnere mich, dass die theoretische "Kultur-Diskussion" weitgehend von Kaiser forciert worden ist und seinerzeit nicht voll der Interessenslage der in Hamburg tätigen, sehr engagierten Musiklehrerin Barth entsprach.)

Irmgard Merkt: Prinzipien des interkulturellen Musikunterrichts (2001)

Irmgard Merkt: Musikerziehung interkulturell - Ausländer- und Einwandererpolitik (2001)

Während Irmgard Merkt in dem kurzen "Prinzipien"-Aufsatz schon bei der Formulierung der Ziele des Interkulturellen Musikunterrichts von "kulturellen Feldern" und der "Musik als Reflexion bzw. Objektivierung gesellschaftlichen Lebens" spricht, richtet sie nun erstmals den Blick auf die deutsche "Migrationsgesellschaft". Damit bahnt sie (noch nicht ganz explizit formuliert) das "Duo" der Arbeitsfelder der Interkulturellen Musikerziehung an, das heute [2023] unumstritten ist: der Blick auf "andere Musiken" und der Blick auf "unsere Musiken". Damit ist auch (implizit) gesagt, dass interkulturelle Musikerziehung stattfinden muss, unabhängig davonob Schüler/innen mit oder ohne Migrationshintergrund in der Klasse sitzen.

Wolfgang Martin Stroh: Ein schlechtes Gewissen macht noch keinen guten Musikunterricht (2001)

Vordergründig geht es in diesem Aufsatz um die Lehrerpersönlichkeit, die - so meine These - angesichts hoher politischer Anforderungen an einen interkulturellen Unterricht auf das "Spaßprinzip" ausweicht. An drei Beispielen wird erläutert, wann es auch Lehrer/innen Freude bereiten kann, multikulturell zu unterrichten. Ich formuliere hier schon das Ziel der Multikulturellen Musikerziehung (siehe 2002!), ohne hier schon diesen Begiff einzuführen: "Der Unterricht qualifiziert die Schülerinnen und Schüler für ein erfolgreiches Leben in der multikulturellen deutschen Gesellschaft. Der Unterricht entwickelt die Fähigkeit, mit der real existierenden Musikvielfalt selbstbestimmt und selbstbewußt umzugehen und eine konsistente 'multikulturelle Identität' zu konstruieren."

Wolfgang Martin Stroh: Multikulti und die interkulturelle Musikerziehung (2002)

Dies ist der Leitartikel für das AfS-Magazin zum Berliner AfS-Kongress 2002, der das Motto „Musikkulturen - fremd und vertraut" hatte. Vorausgegangen war ein Referat, das ich bei der Kongressplanung gehalten habe. Ich umreiße hier das, was heute als Multikulturelle Musikerziehung bezeichnet wird: die multikulturelle Handlungskompetenz von Lehrer/Innen und von Schüler/innen. Zudem formuliere ich jetzt explizit das "Duo", das Merkt 2001 (siehe oben) angesprochen hat, in dem ich als Inhalte der Interkulturellen Musikerziehung angebe: die wirkliche Musikkultur der Bundesrepublik Deutschland,die wirklichen Musikkulturen der Welt sowie die Erscheinungsweisen der Musik der Welt in der Bundesrepublik. Das Attribut "wirklich" soll andeuten, dass die überwiegenden Inhalte der Interkulturelle Musikerziehung nicht "wirklich" sondern eine pädagogische Konstruktion sind.

Hans Jünger: Prinzipiell interkulturell. Plädoyer für einen kulturübergreifenden Musikunterricht (2003)

Der Titel sagte eigentlich schon alles! Jünger wendet sich dagegen, dass die Musiken der Welt in einem speziellen Bereich ghettoisiert werden. Er versteht den Musikunterricht entlang von drei Dimensionen "multikulturell": erstens "Migrationshintergrund der Schüler*innen", zweitens der Gegenrationenunterschied Lehrer*in/Schüler*in und drittens die Ausdifferenzierung der Jugendlichen entlang musikalischer "Szenen". Seine Vorstellung ist, dass der Musikunterricht Inhalte wie z.B. "Musiktheorie" grundsätzlich entlang Beispielen aus den Musiken der Welt vornehmen sollte.

Tobias Hömberg: Idealität 'Interkulturalität'. Zu Anspruch, Argumentation und Ausgestaltung eines prinzipiell interkulturellen Musikunterrichts (2023)

Hömberg setzt sich 20 Jahre nach Veröffentlichung des Aufsatzes von Hans Jünger erneut mit dessen Argumentation auseinander. Nach wie vor relevant seien die Ziele "Verständnis" und "Toleranz". Die eher objekt-orientierte Betrachtungsweise sollte aber durch eine weitgehend subjektorientierte ersetzt werden: statt Orientierung an "der Musik" die an "den Menschen".

Wolfgang Martin Stroh: Musik der einen Welt im Unterricht (2005)

Dies ist der Beitrag zur Interkulturellen Musikerziehung in der von Werner Jank herausgegebenen "MusikDidakti. Ein Handbuch". Die Titel-Formulierung stammt von Werner Jank und lehnt sich an "Eine-Welt-Laden" und dgl. an. Der Artikel ist erst für die 8. Auflage zusammen mit Dorothee Barth vollkommen neu formuliert worden. Immerhin ist dieser kurze Handbuchabschnitt die offizielle Geburtsstunde des "erweiterten Schnittstellenansatzes".

André Hutson: Ist die Interkulturelle Musikerziehung rassistisch? Ein Briefwechsel (2005)

Als in einem Didaktik-Seminar anhand meiner "Capoeira DVD" das Prinzip der Szenischen Interpretation im Rahmen einer Interkulturlelen Musikerziehung besprochen worden ist, hat André Hutson eine Reihe kritischer Fragen aus Sicht der Weißseins-Theorie gestellt, auf die ich reagiert habe. Der vorliegende Text dokumentiert diese Auseinandersetzung als "Briefwechsel". André Hutson hat hier Thesen vertreten, di erst 2022 in der Musikpädagogik aufgegriffen worden sind. In seiner Examensarbeit "Ist die Interkulturelle Musikerziehung rassistisch" (2006) hat er seine Kritik konstruktiv gewandt und eine "Reflexive Interkulturelle Musikerziehung" gefordert.

Thomas Ott: Musikinteressen von Immigrantenkindern in Kölner Schulen und ihre Erfahrungen im Musikunterricht (2006)

Thomas Ott stellt hier eine auf den Musikunterricht bezogene Untersuchung der Migrantenkultur(en) in Köln vor. (Untersuchungen ohne pädagogischen Bezug gab es zu dieser Zeit schon mehrere, vgl. Literaturverzeichnis, Rubrik "Musik der MIgrant/innen".) Interessant ist, dass Ott trotz seiner Sympathie zum "transkulturellen Modell"in Köln doch eher eine multikulturelle Gesellschaft vorfindet: "Die transkulturelle Interpretation wird durch vorliegende Untersuchungen zur Musik von Migrantengruppen in gewisser Weise gestützt, wenngleich man den Eindruck gewinnt, dass statt einer tendenziell homogenen Mischkultur eine neue kulturelle Vielfalt mit charakteristischen Ausprägungen entstanden ist."

Dorothee Barth: Nicht Ethnie, nicht Bildung, sondern Bedeutungszuweisung. Plädoyer für einen bedeutungsorientierten Kulturbegriff (2006)

Zwei Jahre vor Erscheinen ihrer Dissertation stellt Dorothee Barth vor dem AMPF die von ihr heraus gearbeiteten drei Kulturbegriff vor: (1) den normativen, (2) den ethnisch-holostischen und (3) den bedeutungsorientierten Kulturbegriff. Zur Interpretation der heutigen Bundesrepublik sei nur noch der "bedeutungsorientierte" Kulturbegriff zu gebrauchen. Dieser ist im Kern "konstruktivistisch" im Sinne des musikpädagogischen Paradigmenwechsels, den ich 1999 beschrieben habe unter der Überschrift "Ich verstehe das, was ich will". (Anmerkung: Im Umfeld von Hermann J. Kaiser wurde gerne das Attribut "orientiert" verwendet. Auch wenn dies logisch bisweilen korrekt sein mag, so empfinde ich entsprechende Formulierungen stets als schwammig und ausweichend. So ist m.E: die Bezeichnung "bedeutungsorientierter Kulturbegriff" im Grunde nicht korrekt. Wie soll sich eine Kultur an Bedeutungen orientieren? Die Formulierung, dass ein "konstruktivistischer Kulturbegriff" gemeint ist, war wohl noch zu heikel, weil die seinerzeit kursierende "Konstruktivistische Pädagogik" Kerstin Reichs als zu radikal galt. Daher "orientierte" man sich lieber und legte dadurch nur die Richtung oder Tendenz, nicht aber das Ziel fest.)

Dorit Klebe: Musikkultur von Migratenjugendlichen türkischer Herkunft in Deutschland... (2005/07)

Dorit Klebe hat (als solide arbeitende Berliner Musikethnologin) zeitgleich mit Irmgard Merkt schon in der 1980ern Unterrichtsmaterialien zur Musik in der Türkei herausgebracht. Nun setzt sie ihre (Feld-)Forschung im deutsch-türkischen Migrantenmilieu fort. Sie erörtert erstmals den "Oriental HipHop made in Germany" und bricht diesen in eine sehr ausführliche Unterrichtseinheit herunter, die den sieben Schritten des Schnittstellenansatzes von Merkt folgt. (In späteren Publikationen setzt sie diese Thematik ausführlich fort - siehe Literaturverzeichnis!).

Wolfgang Martin Stroh: Interkulturelles Unterrichtsmaterial unter der Lupe (2007)

Während Dorothee Barth 2000 Unterrichtsmaterialien im Hinblick auf den diesen zugrunde liegenden Kulturbegriff untersucht hat, gehe ich in diesem Leitartikel für einen Thememheft von "Grundschule Musik" vornehmlich für den Gebrauch an Grundschulen gedachte Materialien kritisch nach den Kriterien durch, die ich auch auf der vorliegenden Plattform dargelegt habe.

Thomas Ott: Musikunterricht mit Immigranten – wie mögen Musikpädagogik und –didaktik damit fertig werden! (2008)

Hier legt Thomas einen "politischen" Aufsatz vor, gewissermaßen eine Fortsetzung von Merkt 2001 in die Zeiten nach PISA, SINUS,dem erstem Integrationsgipfel und Zuwanderungsgesetz. Bezüglich der Anforderungen an einen politisch lupenreinen interkulturellen Musikunterricht stellt er nüchtern fest: "Musikdidaktik und Musikpädagogik können allein mit dem Problem 'Musikunterricht mit Immigranten' nicht fertig werden. Erfolgreicher Musikunterricht, der auch für Einwandererkinder sinnvoll und förderlich ist, bedarf der Einbettung in einen günstigen schulischen und sozialen Kontext".

Wolfgang Martin Stroh: Migration and Music Education in Germany (2010)

Dies ist der Text eines Vortrages, den ich auf der EAS-Konferenz 2010 in der Türkei gehalten habe. Die der Abhandlung zugrunde liegende These ist, dass alle "Windungen" der Interkulturellen Musikpädagogik die politischen "Windungen" der Migrationspolitik der Bundesrepublik nachzeichnen.

Oliver Kautny: Populäre Musik als Herausforderung interkultureller Musikerziehung (2010)

Oliver Kautny positioniert die Interkulturelle Musikerziehung zwischen den Stühlen Ethnologie und Jugendkulturen: "wichtigr erscheint mir, dass interkultureller Musikunterricht sich mit populärer Musik im Allgemeinen und mit Jugendkulturen im Besonderen auseinandersetzt". Er greift einerseits den von Volker Schütz mit der "Musik in Schwarzafrika" eingeschlagenen Weg (wo Ausgangspukt die westafrikanische Popmusik und nicht die authentische Zwölferglocke ist) und andererseits die Idee von Dorit Klebe 2005/07 auf. Ausführlich wird der Oriental HipHop erörtert.

Wolfgang Martin Stroh: Gibt es noch eine "visionäre" interkulturelle Musikerziehung? (2011)

In diesem Artikel denke ich an die heroischen Zeiten der Interkulturellen Musikerziehung zurück, als diese politisch motiviert war und von der Vision einer Gesellschaft gleichberechtigter Menschen ausgegangen ist. Inzwischen soll, so meine These, interkulturelle Arbeit generell und der Musikunterricht im besonderen gesellschaftliche Probleme lösen ohne aber die Gesellschaft zu verändern oder wenigstens weiter zu entwickeln. Das Leitbild der "Integration" anstelle einer multikulturellen Gesellschaft ist für mich das Ende des Visionären.

Wolfgang Martin Stroh: Der erweiterte Schnittstellenansatz (2011)

Hier berichte ich erstmals über Intention und Funktion der inzwischen 15 Jahre alten Internetplattform "www.interkulturelle-musikerziehung.de" mit 300 Besucher/innen täglich. Da der erweiterte Schnittstelleansatz exemplarisch meist mit Szenischer Interpretation in Verbindung gebracht wird (weil es offensichtlich bis heute kaum eine andere stringente Methode gibt, die den "hohen" Ansprüchen des Ansatzes gerecht wird) versuche ich darzulegen, dass szenisches Spielen allein noch keine Interkulturelle Musikerziehung ist.. Da der Artikel für eine Festschrift für Thomas Ott geschrieben ist, weise ich explizit darauf hin, dass das "vollständige Phasenmodell des erweiterten Schnittstellenansatzes fast eins zu eins dem Lernpozesse, den Meki Nzewi für Westafrika schildert, korresponidert". Ich verweise dabei auf meine Untersuchungen zum "Musiklernen im Alltag".

Thomas Ott: Verstrickt in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe. Überlegungen zum „Interkulturellen“ in der Musikpädagogik (2011)

Thomas Ott: Heterogenität und Dialog. Lernen am und vom Anderen als wechelseitiges Zuerkennen von Eigensinn (2012). Dazu Kommentar Stroh 2012

Thomas Ott hat rund um 2012 mehrfach einen neuen Grundgedanken formuliert, den bereits der Titel des (zuletzt genannten) Artikels in "diskussion musikpädagogik" zu erkennen gibt. Er warnt vor "inszenierter Homogenität", der er "Heterogenität" gegenüberstellt, die man anerkennen müsse. Wichtig ist dabei der "Dialog auf Augenhöhe" - in Vorwegnahme dessen, was seit 2020 in der Rassismus- und Kulturelle-Aneignungs-Debatte gefordert wird. Im Gegensatz zu Letzterer jedoch fordert Ott nicht nur von den "Weißen" sondern auch von den "Anderen" (heute: POCs) "wechseitiges Zuerkennen von Eigensinn". - Christoph Richter fand Ott's Beitrag so wichtig, dass er im selben Heft von "diskussion musikpaedagogik" ergänzende oder kritische Darstellungen erbeten hatte, von denen ich meine Replik hier wieder gebe. (Ich gebe zu, dass mein Artikel mir aus heutiger Sicht als Meckern um des Meckerns willen erscheint.) Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Ott-Gedankenerfolgt bei Barth 2013.

Hans Jünger: Kennen & Können. Tätigkeitstheoretische Überlegungen zu Interkulturellem Musikunterricht (2012)

Hans Jünger hat bereits 2003 geschrieben, dass im Grunde jeder schülerorientierte Musikunterricht interkulturell sein muss. (Dieser Meinung war übrigens auch Dieter Lugert, der das Konstrukt "Interkulturelle Musikerziehung" daher ablehnte bzw. ignorierte.) Hier nun diskutiert er im wesentlich sein Hamburger Modell, das auf der Tätigkeitstheorie basiert, wie ich sie 1999 ("Ich verstehe das, was ich will") dargelegt habe. Nach diesem Modell gibt es drei Prämissen: (1) es ist für alle Menschen von Vorteil, wenn sie musikalisch tätig sind bzw. sein können, (2) dies stezt Lernen und Können voraus und (3) Musiklernen setzt voraus, dass die Lernenden aktiv, bewusst, selbstbestimmt und sozial auswählen können. Das Prinzip des Auswählen-Konnens ist für Jünger der Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen.

Tiago de Oliveira Pinto und Eva-Maria von Adam-Schmidtmeier: Transkulturelle Musikpädagogik: ein Dialog mit den Transcultural Studies (2012)

Dieser Beitrag hat eine Tagung begleitet, die von der Musikhochschule Detmold und Weimar gemeinsam durchgeführt worden ist. Tiago de Oliveira Pinto betreibt in Weimar die "Transcultural Studies", in denen er ein Raster von Zentralbegriffen(Fremde Musik, Affinitäten, Diversität, Spiel, Internationalität) benutzt. Im Aufsatz wird dafür plädiert, diese Zentralbegriffe auf die Transkulturelle Musikpädagogik zu übertragen. Als Konkretisierung werden neben dem bedeutungsorientierten Kulturbegriff nach Barth (2006) der erweiterte Schnittstellenansatz, die Szenische Interpretation und die "eine welt musik lehre" genannt - also lauter gut Bekannte für Leser/innen der vorliegenden Internetnetplattform!

Dorothee Barth: 'In Deutschland wirst du zum Türken gemacht!' (2013)

Dorothee Barth setzt sich hier nochmals mit der "Eigensinn-Idee" von Thomas Ott (2012) auseinander. Der Text ist extrem differenziert und m.E. sehr anspruchsvoll. Er zeigt alle Fallstricke auf, in die die Deutung der musikkulturellen Situation von Menschen mit Migrationserfahrung oder Migrationshintergrund geraten kann. Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten, so das Fazit, in der "Ausbildung einer stabilen, ausbalancierten Identität" unterstützt werden. Der Begriff "ausbalancierte Identität" versucht das zu fassen, was ich mir unter einer "multikulturellen Persönlichkeit" vorstelle. Unterschiedliche kulturelle Zugehörigkeiten sollen, so Barth, als Chance für eine "offene Gesellschaft" gesehen werden. Beispiele, die Barth auch an anderer Stelle immer wieder anführt, sind: die Erkundung des (multi-)kulturellen Nahraumes und der "Klassensong".

Jens Knigge: Interkulturelle Musikpädagogik: Hintergründe – Konzepte –  Empirische Befunde (2013)

Zu diesem Artikel ist nur zu sagen: Lesen Sie ihn, und Sie ersparen sich viel Arbeit! (Übrigens kommt die vorliegenden Plattform bei Knigge gut weg.)

Dorothee Barth und Wolfgang Martin Stroh: Musik im Gedächtnis der Migration (2017)

Bei diesem Aufsatz handelt es sich um einen Beitrag in "IMIS-BEITRÄGE, Heft 51/2017" mit dem Titel "Die Szenographie der Migration - Geschichte. Praxis. Zukunft". Das Themeheft sollte die "Ausstellugskultur" zum Thema Gastarbeiter und Migration in Deutschland kritisch reflektieren. Daraus erklärt sich auch der Titel unseres Aufsatzes. Dieser Aufsatz ist eine Fortsetzung von Stroh 2010 (siehe oben). Der Fokus liegt hier aber weniger auf der Interkulturellen Musikerziehung als vielmehr allgemein auf der Musikkultur der Migrant/innen in Deutschland. Das Ende der "Gastarbeiter-Kultur"-Zeit um 1990 signalisiert das Entstehen einer neuartigen, selbstbewussten "Postmigrantischen" Musikkultur der Jugendlichen in der zweiten und dritten Generation.

Dorothee Barth: In mehreren Kulturen zuhause sein - Vielfache Musikbürgerschaft (2017)

Ein recht griffiger (und kurzer) Artikel zum Phänomen der trans- oder multikulturellen Persönlichkeit.

Oliver Kautny: Anerkennung, Achtung, Toleranz…? Auf der Suche nach ethischen Begriffen für die Interkulturelle Musikpädagogik (2018)

Oliver Kautny durchforstet die Literatur zur Interkulturellen Musikerzieung nach "ethischen" Vorstellen, Begriffen und Begründungen. Als "ethisch" bezeichnet er Begriffe wie Toleranz, Akzeptanz, Respekt und Anerkennung. In einer interessanten Synopse am Ende des Aufsatzes wird die komplette Literatur in einem Raster zwischen musik-bezogen, ethisch-bezogen und "dazwischen" eingeordnet. Insgesamt erscheint mir das Unterfangen, die Ethik ins Spiel zu bringen als ein Versuch, die Begründungszusammenhänge der Interkulturellen Musikerziehung zu ent-politisieren. Die Tatsache, dass hinter den sich wandelnden Begründungen der Interkulturellen Musikerziehung (siehe Stroh 2010 und Barth/Stroh 2017 ) nicht "philosophische Anschauungskämpfe" von Theoretiker/innen sondern die Pragmatik des Musikunterrichts in einer dynamischen Migrationsgeslelschaft steht, wird hier weg definiert.

Tobias Hömberg: Kulturelle Identität(en) (2020)

Angesichts der "Identitären Bewegung", die im vergangenen Jahrzehnt im Rahmen der Rassismus-, Antisemitismus- und Aneignungs-Debatte eine Rolle gespielt hat, ist es extrem hilfreich, dass Tobias Hömberg hier die (weitgehend außer-musikalische) Literatur zum Problemfeld "kulturelle Idenittät" durcharbeitet und sortiert: Kulturelle Identität kann als „Orientierungsmuster“ (Nieke,2007: Kulturelle und ethnische Identitäten - als Sonderfälle der Orientierung gebenden kollektiven Identität), als „Positionierung“ (Auernheimer, 1997, 2012), als „Pra xis des Unterscheidens“ (Mecheril, 2003: Kulturelle Identität. Anmerkungen zur pädagogischen Brauchbarkeit einer Perspektiv ), als „kulturelle Identifizierung“ (Messerschmidt, 2014: Kritische Anmerkungen zum Kulturbegriff und seinem strategischen Einsatz) oder als „Lernproblem“ (Flechsig, 2002: Kulturelle Identität als Lernproblem) dienen. Inwieweit Barths "bedeutungsorientierter" Kulturbegriff einer Differenzierung oder Weiterentwicklung bedarf, lässt der Autor am Ende des Aufsatzes noch offen.

Dorothee Barth und Wolfgang Martin Stroh: Musik(en) der Welt im Musikunterricht (2021)

Dies ist eine Neufassung des Abschnitts zur Interkulturellen Musikerziehung im Handbuch "MusikDidaktik", das Werner Jank herausgegeben hat. Gegenüber der ersten Auflage wird der Aspekt "Musikunterricht für die Migrationsgesellschaft" stärker hervorgehoben.

Heike Henning u.a. (Hg.): Vielfalt. Musikgeragogik und interkulturelles Musizieren. Ein Sammelband bei Waxmann 2022. Er enthält u.a. die beiden folgenden Aufsätze zu "Kultureller Aneignung" von Tobias Hömberg und Dorothee Barth:

Tobias Hömberg: Interkulturelles Musizieren als kulturelle Aneignung? Musikpädagogische Argumentationen zur Kritik an Cultural Appropriation (2022)

Die aktuelle Diskussion um „kulturelle Aneignung“ muss auch Musikpädagog/innen berühren. Tobias Hömberg referiert zunächst wichtige Pro- und Contra-Positionen, bevor er aus Sicht der Musikpädagogik fünf teils kontroverse Argumentationen gegenüber der Kritik an „kultureller Aneignung“ skizziert: (1) Die Kritik bemühe einen (in der Terminologie Barths) "ethnisch-holistischen" Kulturbegriff, der heute in der Musikpädagogik als überholt gilt, und vernachlässige (2) die heutige globale Transkulturalität und Hybridität von Musiken. Andererseits möge sie (3) ebenso Anlass zu einer verstärkten postkolonialen Selbstkritik innerhalb der Musikpädagogik geben. Weiter könnte (4) der Begriff der Aneignung differenzierter und dialektischer verstanden werden. Schließlich dürften (5) die interkulturell Unterrichtenden in der konkreten Unterrichtspraxis eine größere Sensibilität gegenüber von „kultureller Aneignung“ Betroffenen zeigen (siehe auch Modell 16).

Dorothee Barth: (Zu) Wem gehören Musiken? Interkulturelles Musizieren im Spannungsfeld kultureller Aneignungsprozesse (2022)

Nach einer knappen Darstellung der aktuellen Position "Interkultureller Musikpädagogik" (sortiert nach "Musik in derMigrationsgesellschaft" und "Musiken der Welt") folgt in Kapitel 4 eine Darstellung der zentralen Positionen der Kritiker/innen Kultureller Aneignung sowie eine Problematisierung dieser Positionen aus musikpädagogischer Sicht: Erstens habe sich in der Musikpädagogik ein nicht essentialistisches Kulturverständnis durchgesetzt, das Kritiker*innen der cultural appropriation ihrem Kulturkonzept aber oft mals zugrunde zu legen scheinen. Zweitens ist es für Musikpädagog* innen in der Regel selbstverständlich anzuerkennen, dass musikalische Entwicklungen stets aus Begegnungen verschiedener musikalisch-kultureller Traditionen entstanden sind und weiterhin entstehen. Kritiker*innen der cultural appropriation aber hinterfragen diese Vorgänge in machtkritischer Perspektive. Drittens gelten im pädagogischen Kontext Offenheit und Neugier für andere und neue Musiken nicht als kritisierenswert, sondern als sinnvoll und erstrebenswert. Viertens schließlich steht der Aneignungsbegriffs im Kontext der Erziehungs- und Bildungswissenschaften in einer positiv besetzten begrifflichen Tradition; Kritiker*innen der cultural appropriation aber verstehen ihn eher als negativ konnotierte Handlung.