Praxisbeispiele:
Musik, Israel und Gaza 2024.
Aktuelle Vorschläge von Unterrichtsthemen
Die vorliegenden "aktuellen Vorschläge" beziehen sich auf Themen, die speziell die Flüchtlingssituation seit 2015 berücksichtigen. Daneben biete ich ja noch die (allgemeinen) Materilien zur Interkulturellen Musikerziehung auf einer extra Seite an.
Mit diesen Vorschlägen möchte ich diskutieren, was Musiklehrer/innen mit Blick auf die andauernde Flüchtlingssituation in der Migrationsgesellschaft tun können. Dabei gilt die Regel, die auch für jegliche interkulturelle Musikerziehung gilt: solche Konzepte sind unabhängig davon, ob sich Flüchtlingskinder in der Klasse befinden oder nicht. Sie richten sich "an alle".
Immer noch scheint vor allem Musik au dem arabischen Raum Zugangsprobleme für (deutsche) Musiklehrer/innen zu bieten. Ich bin der Meinung, dass die Bedenken "kultureller Aneignung" nicht daran hindern sollten, arabische Musik im Unterricht auch praktisch anzugehen. Die Verbindung mit Szenischer Interpretation stellt dabei eine echte Hilfe dar - wie sich inzwischen gezeigt hat. Die "reinen" Praxis-Beispiele sind auf extra Seiten ausgegliedert. Auf der vorliegenden Seite werden Themen vorgestellt, die über reine Musikpraxis hinaus gehen.
Hinweis: Falls die Youtube-Links nicht "automatisch" (durch Doppelklick) funktionieren, kopieren Sie die Linkadresse (mit gedrückter rechter Maus auf den Link und dann "Linkadresse kopieren") und fügen Sie diese im Browser direkt ein.
Praxisbeispiele:
Musik aus der Ukraine 2022.
Praxisbeispiele:
Kinderlieder aus Flüchtlingsländern
Arabische Musik
(jenseits von Kinderliedern)
1. Spracherwerbsförderung durch Musik
Hierzu gibt es eine extra Abteilung in der Rubrik " Praxisberichte/Sprachförderung". Es handelt sich hier nicht im engeren Sinne um Interkultruelle Musikerziehung. Allerdings lassen sich Ziele interkultureller Musikerzieung gut mit solchen Aktivitäten verknüpfen.
2. Eine Musikerin oder ein Musiker aus einem typischen Herkunftsland von Flüchtingen besucht die Schule
In verschiedenen Bundesländern gab es durch Musikrat, Regierung oder Stiftungen vermittelte Möglichkeit, "original" Musikerinnen oder Musiker aus Herlunftsländern von Flüchtlingen einzuladen. In der Regel handelte es sich hier entweder um arabische Musiker/innen oder Musiker aus (West-)Afrika. Ein Beispiel für eine ministerielle "Agentur" zur Vermittlung von Musiker/innen war das Niedersächsische "Welcome-Board". Damit ein Besuch einer Musikerin oder eines Musikers kein Exotikum bleibt, ist die Einbettung des Besuchs in eine umfassendere Unterrichtseinheit erforderlich. Hierzu haben Dorothee Barth und Mitarbeiter/innen einen ausführlichen Reader erarbeitet, der ergänzend zum Besuch einer Musikerin bzw. eines Musikers eingesetzt wurde. Er enthält die Kapitel/Materialien zu
- Reisegeschichte
- Feldforschung
- Instrumentenkunde
- Liedersammlung
- Portaits
Wie so häufig werden solche Intiativen nach ein paar Jahren eingestellt und auch dieser unglaublich brauchbare Reader überdauert nicht im Internet. Er ist aber auf der vorliegenden Seite noch immer vorhanden und kann (kostenlos) herunter geladen werden: Download hier (59 MB).
3. Analyse und Interpretation einer Avantgarde-Komposition aus Syrien
Warum nicht einmal eine Komposition eines aktuellen Komponisten aus Syrien im Unterricht besprechen? Hierdurch kann der Meinung begegnet werden, dass die Musik der arabischen Welt und Afrikas nur aus Folkore, traditioneller Kunstmusik oder Pop besteht. Beispiel: Rami Chahin "The Flowers of Sadnesse", UA 2011 im Opernhaus von Damaskus zu Beginn des in den Bürgerkrieg übergegangenen "Arabischen Frühlings". Details zu dem Stück, zu Aufführungsbedingungen, Intention und kulturellem Hintergrund.
4. Themenkreis "Musik und Politik": die unterschiedlichen Funktionen politischer Musik zu Zeiten der Arabellion 2011-2013
Ich babe 11 Videoclips (meist Zusammenschnitte von Videos aus dem Internet) zusammengestellt und die Videoclips nach unterschiedlichen Funktionen und Kompositionsverfahren politischer Musik systematisiert. Diese Videos befinden sich auf der Youtube-" Playlist Musik der Arabellion". Die dazu gehörigen ausführlichen Kommentare gibt es als Text zum Download (hier als pdf).
5. Die Medienwelt von Flüchtlingskindern und -jugendlichen
Flüchtlingskinder leben in einer Medienwelt und kennen Smartphone, Vielen hat ein Smartphone das Leben gerettet. Und von Deutschland aus ist das Smartphone die einzige Verbindung zur "Heimat". Daher hat mir der in Deutschland lebende syrische Komponist Rami Chahin ein paar Links genannt, die eventuell im Unterricht oder bei der Unterrichtsvorbereitung angeklickt werden könnten. Vieleicht können syrische oder arabisch sprechende Kinder diese Videoclips kommentieren, sagen ob sie sie kennen und gegebenfalls der Lehrerin und den Mitschüler/innen erklären. Dies wäre zwar auch die problematische retrospektive Methode "Was ist 'Eure' Musik?", jedoch medial abgemildert und eher recherchierend-informierend als inquisitorisch oder mit dem Anspruch, etwas Eigenes preisgeben zu müssen. Rami Chahin sagt allerdings: "Syrische Lieder sind sehr lokal, jeder Ort oder jede Stadt hat seine/ihre traditionellen Lieder. Man kann sie nicht im Internet finden. Aber wir haben auch allgemein die arabischen Kinderlieder. Ich schicke Ihnen anbei einige Lieder für verschiedene Kinder-Altersgruppen, vielleicht sind einige sehr kitschig". Bei der Durchsicht der Video bestätigte mir Magda Assem diese Einschätzung und kommentiert einige Lieder:
- Beispiel 1: Die Sängerin Fairouz singt ein Schlaflied für ein Baby: "Schlaf, Rima, schlaf" (aus dem Film "Bint al-Haris" - siehe mehr Info hier)
- Beispiel 2: Remi Bandali - "Fliegt hoch über uns in den Himmel, oh ihr Tauben". Youtube!
- Beispiel 3: Remi Bandali - "Wasch dir dein Gesicht, lieber Mond" (Fernseh-Show). Youtube!
- Beispiel 4: Kinderlied: "Alle haben Autos, nur mein Opa hat einen Esel.." Siehe mehr Infor hier!
- Beispiel 5: Kindersender "Hadi": Lied "mein Onkel, Abu Masud" Youtube!
- Beispiel 6: Kindersender "Vögel des Paradieses": Lied "der kleine Hase und der Fuchs"... Youtube!
- Beispiel 7: Kindersender "Vögel des Paradieses": "Die Geschichte von der Ameise und dem Käfer"... Youtube!
- Beispiel 8: Oumaima El Khalil singt "Ein Vogel kam aufs Fensterbrett" von Marcel Khalifeh. Youtube!
- Beispiel 9: Mohammed Fawzi singt das ägyptische Kinderlied: "Mama kommt gleich ..." (Videoclip 1965) Dailymotion!
- Beispiel 10: Aus einem alten ägyptischen Film: Shadia singt anlässlich des Muttertages ein Liebeslied für ihr Kind... Youtube!
- Beispiel 11: Mit Nancy Ajram im Traumland; Lied "kritzel - kratzel"... Youtube!
6. Zur Vielfalt der Musik einer Kulturregion - am Beispiel "Musik rund ums Mittelmeer"
Für etwas ältere Schüler/innen bietet sich meines Erachtens an, das Thema "Musik rund ums Mittelmeer" zu behandeln. Hier können auf einer "musik-touristischen" Ebene sowohl europäische Länder als auch solche, die uns heute als "fremd" erscheinen, vorgestellt werden. Die Musik dieser Länder ist dann eine Projektionsfläche für den Umgang mit Ängsten, Vorurteilen und der Realität. Man nimmt den gesamten derzeit in Bewegung geratenen Kulturkreis ins Visier und weitet für alle, die sich zu einem bestimmten Land zugehörig fühlen, den Blick. Meine interaktive Musiklandkarte "Musik rund ums Mittelmeer" beispielweise enthält in der Grundversion Titel aus dem Jahr 2014 (also der Arabellion), kann aber auch mit eher traditionellen und landestypischen Musiken gefüttert werden. Zudem können Schüler/innen eigene Musik in das spielerisch gestaltete Programm implementieren. Ergänzend zu dieser Musiklandkarte, die einen Quiz, ein Ratespiel und Informationstafeln enthält, können umfangreiche Unterrichtsmaterialien zum Thema "Musik rund ums Mittelmeer" bei mir ausgeliehen werden. Sehen Sie hier!
"... mittlerweile ist unsere Projektwoche "Flüchtlinge Willkommen" in vollem Gange und ich konnte einige Ihrer tollen Medien bei meinem Projekt einsetzen. So konnten wir die Musikreise ums Mittelmeer durchführen und über die teilweise schockierenden Inhalte diskutieren. Es waren auch Syrische Flüchtlinge dabei, die Titel kannten und/oder übersetzen konnten. Zu dem Song aus dem Intro haben wir Willkommens-Texte erstellt und diese auf die Melodie gesungen und mit Alltagsgegenständen begleitet. Das hat den Schülern gut gefallen. Auf Riesenplakaten haben wir die Mittelmeerländer gepuzzelt und mit Leben gefüllt. Gar nicht so einfach! Auch für mich als vorbereitende Lehrkraft! Abgerundet haben wir das Ganze mit einem Tanz aus Syrien (Dabke), sehr einfach, sehr spaßig und einem Spiel. Die Dabke wollen wir am Präsentationstag mit allen Besuchern nach der Begrüßung tanzen." (Lehrerin aus Neuenstein)
7. Wie Migration neue Musikstile oder Genres geschaffen hat
Zahlreiche Weltmusik-Genres sind aus Migrationsbewegungen hervor gegangen. Indem man diese heute "angesagten" Musikstile kulturerschließend bespricht, spricht man auch über die kreativen Seiten von Migration. Alle Musikstile enthalten (1) Erinnerungen an Leid-, Armuts- und Gewalt-Erfahrungen und zeugen (2) von dem vitalen Willen, in der neuen Heimat etwas Neues zu schaffen, was die Dichotomie von "Eigenem und Fremdem" aufhebt. Diese Musiken können als Projektionsfläche für aktuelle Fragen und Probleme dienen, die sowohl Flüchtlingskinder und -jugendliche als auch Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund haben. Zudem ist hier viel PLatz, um die momentan viel diskutierten negativen Aspekte kultureller Aneignung ("cultural apropriation") positiv zu sehen.
- Klezmer: 2 Mio. Juden wandern um die Wende 19./20. Jhd. von Osteuropa über Deutschland (Bremerhaven) nach New York aus, wo der heutige Klezmer-Sound durch eine Integration osteuropäischer Klezmertraditionen mit amerikanischem "Swing" entsteht. Siehe meine Klezmerseite sowie Unterrichtserprobungen in Polen und Türkei.
- Tango: 1,5 Mio. Italiener und 0,5 Mio. Mittel- und Osteuropäer wandern um die Wende 19./20. Jhd. nach Argentinien (Buenos Aires) aus, wo in den Migrantenvierteln der Tango entsteht.
- Rembetiko: 1,8 Mio. Griechen-Türken werden 1922 aus der Türkei nach Griechenland "umgesiedelt", aus dem "Smyrna-Stil" entsteht durch Vermischung mit griechischer Folklore Rembetiko, eine Musik, auf die sich Theodorakis bei der Neuerschaffung "griechischer Musik" (vgl. "Sitarki") explizit bezieht.
- Raī: nach dem Algerienkrieg (Ende 1962) und aufgrund der islamistischen Umtriebe in den 1980er Jahren im unabhängigen Algerien entsteht in Migrantenkreisen Frankreichs aus dem folkloristischen (algerischen) Raī der heutige "globale" Raī (z.B. "Aisha")
- Baithak Gana (Surinam Musik): Die Musik derEnde des 19. Jahrhunderts aus Indien angeworbenen Gastarbeiter in Surinam gelangt nach der Unabhängigkeit Surinams 1975 mit 350 000 Migranten, d.h. 1/3 der Surinamesen, nach Holland, wo der heutige "Baithak Gana" entsteht, bei dem charakteristische Elemente der "traditional Surinam Music" in modernem Gewand erscheinen.
- Bhangra: Migranten aus Indien und Pakistan bringen "Bhangra" aus Punjab nach London und kreieren daraus einen Disko-HipHop-Stil, der heute europaweit und auch in Indien selbst ("beliebteste indische Popmusik") angesagt ist.
- Oriental HipHop: der in der deutschtürkischen Community entstandene Türk-Rap wird 1995 mit dem kurzzeitigen Zusammenschluss deutschtürkischer Rapper ("Cartel") zum größten musikalischen Exportschlager in die Türkei. Oriental HipHop gilt als das bedeutendste und eigenständigste musikalische Produkt der deutschen Migrantenszene.
- Russendisko: nach der Wende kommen nicht nur 2,5 Mio. Spätaussiedler ("Russendeutsche") sondern auch viele "echte" Russen nach Deutschland, wo die stilprägende "Russendisko" entsteht (2003 die erste CD "Russendisko 1").
- BalkanBeat: unter den aus dem Balkankrieg nach Deutschland geflohenen (ca. 0,4 Mio.) Menschen sind auch Musiker verfeindeter Ethnien aus Ex-Jugoslawien, die demonstrativ gemeinsam musizieren und den "BalkanBeat" kreieren (2005 die erste CD "BalkanBeats 1"), der heute jede deutsche Balkan-Nacht ziert.
Überprüfen Sie Ihre Weltmusik-Grundbildung:
In ungeordneter Reihenfolge erklingen neun 12-Sekunden-Ausschnitte aus den hier genannten "Migranten-Genres":
8. Musik im Krieg
Es gibt verschiedene "Soundscapes", die konkret von Kriegserlebnissen berichten. Hier ein Video aus Libyen (eine Kurzfassung der Komposition "The End of Silence" von Mathew Herbert, 2011), dazu ein ausführlicher Text im Kommentar des Videos (oder hier unter Nr. 7, Seite 10).
Eine sehr radikale Sammlung von musikalischen Reportagen, Soundscapes und vertonten Texten befindet sich auf der CD/Kompilation "Music, Awareness & Solidarity with Rojava Revolution", die kostenlos oder gegen eine Spende von der Seite " female:pressure" herunter geladen werden kann. Auf dieser Download-Seite wird ausführlich über das Projekt und die Musiker/innen berichtet. Über die Produzentin hat die taz am 31.5.2016 berichtet (Kopie download hier). ("Rojava" ist die kurdische Bezeichnung des vom IS befreiten Kurdengebiets in Syrien und im Irak an der türkischen Grenze.) 2022 ist das Thema "Rojava" wieder hoch aktuell aufgrund der erneuten Militäroperationen der Türkei gegen die syrischen Kurden.
Zum Thema "Musik im Krieg gegen die Ukraine 2022" findet man im Internet zahlreiche Beiträge: Da gibt es einerseits die Ukrainische Popmusikszene, die sich mt Solidaritäts- und Friedenslieder hervortut (zusammenfassender Artikel mit Links) oder Musiker/innen, die in Ukrainischen Bunkern spielen (Bericht und Video hier).