Punkt 13 der Jerusalemerklärung lautet: "Faktenbasierte Kritik an Israel als Staat. Dazu gehören seine Institu-
tionen und Gründungsprinzipien, seine Politik und Praktiken im
In- und Ausland, wie beispielsweise das Verhalten Israels im West-
jordanland und im Gazastreifen, die Rolle, die Israel in der Region
spielt, und jede andere Art und Weise, in der es als Staat Vorgänge
in der Welt beeinflusst. Es ist nicht per se antisemitisch, auf systematische rassistische Diskriminierung hinzuweisen. Im Allgemeinen
gelten im Falle Israels und Palästinas dieselben Diskussionsnormen,
die auch für andere Staaten und andere Konflikte um nationale
Selbstbestimmung gelten. Daher ist der, wenngleich umstrittene,
Vergleich Israels mit historischen Beispielen einschließlich Siedlerkolonialismus oder Apartheid nicht per se antisemitisch".
Dagegen sagt die IHRA:
"Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.
Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.
Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel."
Modell 9a. "Interkulturelle Musikerziehung soll Erziehung gegen Antisemitismus sein"!
Ein guter Einstieg in eine "Erziehung nach Ausschwitz" (Adorno), d.h. eine effektive Erziehung gegen Antisemitismus, ist meines Erachtens möglich und sinnvoll, wenn man Antisemitismus als eine besondere Art von Rassismus auffasst. Dann nämlich lässt sich antirassistischer interkultureller Musikunterricht auch als ein Musikunterricht gegen Antisemitismus gestalten. Das bedeutet: alles, was über interkulturellen Musikunterricht als antirassistischer Musikunterricht gesagt worden ist, ist auf ein Unterricht "nach Ausschwitz" aufassen und gestalten. Ein konkretes Beispiel für solch ein Vorgerhen steht weiter unten.
Wenn ich hier Antisemitismus als "Unterabteilung" von Rassismus abhandle, so muss ich zuerst darauf hinweisen, dass es diesbezüglich eine leidenschaftliche und politisch sehr relevante Kontroverse gibt. Ich selbst war immer der Meinung, Antisemitismus sei ein typisches Beipiel für Rasssimus: "den Juden" als einer (imaginierten) Totalität wird etwas zugeschrieben, was einzelne Menschen tun oder sagen, oder aber, was "man" sagt, um irgendeine Erklärung für ein Problem zu finden, was man selbst hat. Der "klassische" Antisemitismus ist charakterisiert durch genau die vier Eigenschaften, die oben bei der Rassismus-Defintion benannt worden sind: Exotisierung, Hierarchisierung, Vereinfachung und Herabsetzende Darstellung (heute oft auch "Dämonisierung" genannt).
Bekannt für die Auffassung, derzufolge Antisemitismus als eine Form von Rassismus interpretiert wird, ist von jüdischer Seite aus David Baddiel mit seinem Buch "Und die Juden" von 2021, dessen originaler Titel hieß "Jews Don't Count". In der aktuellen "Rassismus" -Broschüre des Netzwerkes "Schule gegen Rassismus" plädiert Gideon Botsch ebenfalls dafür, Rassismus und Antisemitismus nicht strikt gegeneinander abzugrenzen: "Antisemitismus, so zeigt sich, ist ein Querschnitts thema. Er kann rassistisch motiviert sein oder mit rassistischen Praktiken und Ideologien einhergehen. Doch er muss als eigenständiges Phänomen ernstgenommen und bekämpft werden".
Die Meinung, dass Rassismus und Antisemitismus etwas grundsätzlich verschiedenes sind, wird unter anderen von Julia Bernstein im Buch "Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Befunde – Analysen – Handlungsoptionen" (Beltz Juventa, Weinheim 2020) vertreten. Siehe die Tabelle aufgrund dieses Buches hier. In jedem Fall wird der Rekurs auf den veralteten Rassen-Begriff (der Nazis etc.) abgelehnt.
Die Kontroverse wird auch auf internationaler und politisch höchst relevanter Ebene fortgeführt. So hat sich der Deustche Bundestag, um die BDS-Bewegung als antisemitisch einstufen zu können, die Antisemitismus-Definition der IHRA zu eigen gemacht. Als Reaktion (und "Konkretisierung") der IHRA-Deinition haben 100 israleische Wissenschaftler die Jerusalemerklärung zum Antisemitimus veröffentlicht. Hier wird - im Gegensatz zur IHRA - Antisemitismus als eine Form von Rassismus definiert. Leider ist diese Kontroverse nicht unrelevant. Sie hat direkte Auswirkungen auf ein Phänomen, das man - vor allem nach der Terrorattacke auf Israel durch die Hamas am 7.10.2023 - in Deutschland als "israelkritischen Antisemitismus" bezeichnet.
Nach dem niedersächsischen Antisemitismus-Bericht für das Jahr 2023 hat gegenüber dem Vorjahr nur der "israelkritische Antisemitismus" siknifikant zugenommen. Alle übrigen Arten des Antisemitismus haben sich nur unwesentlich verändert (Mehrfachzählungen, in Prozent):
Weitere Information (auch zu den hier verwendeten Begriffen) finden Sie hier.
Am Beispiel der Klezmermusik habe ich versucht, mit einer "ent-ritualisiserten Holocaustpädagogik" einen Weg aus der meines Erachtens längst selbst ideologisch gewordenen Antisemitismus-Debatte aufzuzeigen. Um es kurz auf eine Formel zu bringen: Ein konsequent anti-rassistischer Unterricht begegnet jeglichem Antisemitismus effektiver als Gedenkstättenbesuche (die statt "Betroffenheit" emotionalen Widerstand Jugendlicher erzeugen können). Die kulturerschließende Behandlung von Klezmermusik bringt uns "die Juden" und das "jüdische Leben (in Deutschland)" näher als jeder Shoa-Film. Kinder und Jugendliche sollten mit konkretem jüdischen Leben bekannt gemacht werden bevor sie mit Mahnmalen konfrontiert werden.
Ein weiteres Beispiel ist das Lied "There must be another way", das auf sehr differenzierte Art und Weise das Thema des "antiisraelischen Antisemitismus", der nach dem 7. Oktober 2024 (dem Überfall der Hamas aus Gaza auf Israel) in Deutschland diskutiert wird, anspricht bzw. im Musikuntericht anzusprechen erlaubt.