Modell 2. Lernen von der Musikerziehung in anderen Kulturkreisen
Immer wieder wurde vor allem in den 1990er Jahren explizit oder implizit die Frage aufgeworfen, ob die deutsche Musikpädagogik
etwas von der Musikerziehung anderer Kulturkreise lernen könnte. Eine Zusatzfrage ist, ob sich
dadurch die deutsche Musikpädagogik auch stärker oder besser interkulturell"
ausrichten ließe. Die letzgenannte Fragestellung wird in der Literatur bisher so gut wie
nicht bearbeitet, sie ist aber nachdenkenswert. Eine gewisse Ausnahme bietet Carl Orffs Schulwerk",
das teilweise die Musikpraxis und Musikerziehung in Indonesien aufgenommen und auf deutsche Verhältnisse
mit nicht geringem Erfolg transformiert hat. Die mit solchen Fragen befasste Vergleichende
Musikpädagogik" ist auch unter kritischem Aspekt interessant: Wann und wie wurde die
Musikerziehung in außereuropäischen Kulturen/Gesellschaften/Staaten deutsch
ausgerichtet"? Musterbeispiele sind Türkei und China. Und wie stehen deutsche Musikpädagogen
heute zu dieser Deutsch-Ausrichtung? Beispiele sind Daniléou 1973 (Asien), Nketia 1975 (Afrika),
Merkt 1983 (mit einem Kapitel über die türkische Schulmusik), Newiger-Didgdoyo 1989
(die in Indonesien versucht, Gamelan zu lernen), Zheng 1993, Kleinen 1994 (über China),
Gruhn 1998 (Madras), Mzewi 1998 (Gambia). Sehr ausführlich ist Bern Clausens Vorschlag einer "Komparativen Musikpädagogik",
bei dessen Erörterung der Musikunterricht in Japan genaue analysiert wird.
In vielen älteren Heften von Musik+Bildung gibt
es Kurzdarstellungen der Musikerziehung in anderen Ländern". Für unsere
Thematik von besonderem Interesse sind Länder mit außereuropäischer Musikkultur".
Weitere Materialien in dieser Richtung sind unter ISME" zu finden, einem internationalen
Verband für MusikerzieherInnen, der einiges zur Vergleichenden Musikpädagogik publiziert hat.
Aufwendig auszuwerten, aber für das vorliegende Problem nicht unwichtig, sind Bücher,
in denen entweder Europäer von ihrem Unterricht" in außereuropäischen
Kulturen berichten (z.B. Newiger-Didgdoyo oder Mickey Hart) oder ethnologisch aufgearbeitete Berichte
über den Lebensweg außereuropäischer MusikerInnen, teilweise in O-Ton"
(zum Beispiel "The Healing Drum" von Yaya Diallo und Mitchell Hall). Diese Art Musikerziehung
wird natürlich nicht durch Verbände wie ISME erfaßt.Im Zuge der Verbreitung von
westafrikanischer Musik an deutschen Schulen und der Gründung von sanft-touristischen Einrichtugen
in Gambia und Ghana, an denen afrikanisches Trommeln und Tanzen vor Ort gelernt werden kann,
ist auch von Afrikanern selbst die Frage, inwieweit Afrikaner anders als Deutsche Musik lernen,
erörtert worden. Thomas Ott, Volker Schütz (in Boehle 1996) und Meki Nzewi 1997 haben
hierüber geschrieben. Lektüre:
Thomas Ott: Was kann
unsere Musikpädagogik von einer schriftlosen Kultur lernen?
Wolfgang Martin Stroh: Hindemiths Vorschläge für den Aufbau
des türkischen Musiklebens.
Fragestellungen:
- Welche qualitativen Unterschiede gibt es in der Musikerziehung?
- Wie bzw. wodurch sind solche Unterschiede begründet?
- Warum und mit welchem Effekt gab es Adaptionen europäischer musikpädagogischer Systeme?
- Kann die interkulturelle Musikerziehung von Erfahrungen außereuopäischer Methoden lernen?