Informationen, Konzepte und Materialien zum Interkulturellen Musikunterricht
Die "Guantanamera"
Kurz nach dem "11. September", als in Guantanamo das (bis heute noch nicht vollständig aufgelöste) Gefangenenlager errichtet worden war,
habe ich begonnen, zur "Guantanamera" zu recherchieren. Zwei Jahre zuvor hatte eine kubanische Musikwissenschaftlerin die These vertreten,
dass die "Guantanamera" auf einem einfachen Son-Cubano-Modell aus dem 19. Jahrhundert beruht und zu Unrecht einem Autor zugeschrieben
und als "Lied" bezeichnet worden ist. Ich habe dann (vermittelt durch Gustavo Becerra-Schmidt) "Veteranen" kontaktiert, die die ersten bekannten Aufführungen
der "Guantanamera" in den 1920er Jahren am Radio gehört haben. Und dann kam der Krimi ins Rollen... Fast zufällig kam ich mit den "Verseadores" von La Palma in Berührung,
die eine Improvisationspraxis pflegen, die sie "son cubano" nennen und bei der das uns bekannte Begleitmodell der "Guantanmera" erklingt.
Ganz unversehens war ich durch meine ersten Publikationen zu einem "Guantanemra"-Spezialisten geworden, der von diversen einschlägigen Zeitschriften
und alternativen Reiseführern angefragt worden ist. Die Angelegenheit ist brisant, denn die Erben des vermeintlichen Autors der
"Guantanamera" streiten noch heute mit internationaler Unterstützung der Social Media um Millionenbeträge, die der kubanische Staat eben diesen
Erben an Tantiemen vorenthalten haben soll. Nach meinen Recherchen ist dies alles nicht nur fake, sondern wären eigentlich alle Gelder,
die weltweit mit der "Guantanemra" verdient worden sind (allen voran durch Pete Seeger!) zurück zu zahlen... Im Folgenden in Stichworten meine
Argumentation. Ganz unten sind dann Links zu Unterrichtseinheiten und Publikationen zu finden.
Peso-Schein aus Kuba zeigt den Freiheitshelden und Dichter José Martí,
der im Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier gefallen ist.
Die heute durch Pete Seeger bekannt gewordenen "Guantanamera"-Strophen sind seinen "Versos Sencillos" entnommen.
Ich bin ein ehrlicher Mensch,
komme von da, wo Palmen wachsen,
und ehe mich der Tod zum Schweigen bringt
möchte ich aus ganzer Seele meine Verse darbieten.
Mi verso es de un verde claro
y de un carmin encendido
mi verso es un ciervo herido
que busca en el monte amparo
Con los pobres de la tierra
quiero yo mi suerte echar,
el arroyo de la sierra
me complace más que el mar.
Joseíto Fernandéz gilt als Autor der "Guantanamera".
Seine Nachfahren erhalten auch noch GEMA-Tantiemen für Aufführungen des Liedes.
Es steht heute aber fest, dass die "Guantanamera" ein altes Improvisationsmodell ist,
das Fernandéz in den 30er Jahren benutzt hat, als er im Rundfunk - der "Cronica Roja" des CMQ -
seine subversiven Nachrichten mit improvisierten Décimas über aktuelle Tagesereignisse garnierte.
Als die "Guantanamera" (noch nicht mit dem Martí-Text!) in Kuba immer bekannter wurde,
nahm Fernandéz mehrere Schallplatten mit diesem Lied auf.
Unsere Live-Aufnahme zeigt diesen Gesangsstil:
Pete Seeger sang am 8. Juni 1963 die "Guantanamera" (angeblich erstmals) in
der New Yorker Carnegie-Hall. Das Bild zeigt das Schallplatten-Cover dieses denkwürdigen
Konzerts. Dadurch wurde die "Guantanamera" international als Solidaritätslied mit dem
kommunistischen Kuba und als politisches Protestlied bekannt. Pete Seeger benutzte drei Strophen aus
den "versos sencillos" von José Martí, die niemand verstand.
Ein "revolutionärer" oder "kommunistischer" Text ist dies jedenfalls nur sehr bedingt:
2 Mein Vers ist von hellem Grün und von einem leuchtenden Rot, Mein Vers ist ein verwundeter Hirsch, der im Gebirge Schutz sucht.
3 Mit den Armen der Erde will ich mein Los teilen, und der Bach aus den Bergen gefällt mir mehr als das Meer.
In gut geführten Musiklehrbüchern steht, dass "Guajira" eine kubanische Tanzform ist.
Doch steht dieser Tanz im 3/4-Takt. Das Lied "Guantanamera" jedoch steht im 4/4-Takt. Es benutzt,
wie viele historische Aufnahmen von Fernandéz zeigen, ein Rhythmusmodell, das noch heute unter der
Bezeichnung "son cubano" auf La Palma (zum Beispiel alljährlich bei Décima-Gesangs-Wettbewerben in Tijarafe)
zu hören ist. Unser Karaoke-Beispiel (Midifile) baut auf diesem Modell auf.
"Guajira" heißt in Kuba auch " Bäuerin", vornehmlich aus dem
Osten der Insel, der von den Kanaren aus besiedelt worden ist. "Guajira Guantanamera"
heißt dann "die Bäuerin aus Guantánamo". Ein zeitgenössischer
kubanischer Maler stellt sich dies Wesen wie oben abgebildet vor.
"Guantanamera" heißt wörtlich als "die aus Guantánamo Stammende".
"Guantánamo" ist die östlichste Provinz Kubas, die - wie gesagt - von den Kanaren
aus besiedelt worden ist. Dort fand auch Martís Kampf gegen die spanischen Konialherrn statt.
Die USA haben letztendlich 1898/99 die Spanier aus Kuba vertrieben und das Land anektiert. 1903 wurde
Kuba dann selbständig und musste ein 116 qkm großes Areal an der Bucht von Guantánamo
als US-Militärbasis abtreten. 1934 wurde ein Pachtvertrag geschlossen. Fidel Castro nahm seit 1959
die Pachtzahlungen von jährlich 4085 $ demonstrativ nicht mehr an. Zwischen 1962 und 1999 wurden 8262
Verletzungen des kubanischen Hoheitsgebietes und 5236 „provocaciones“ registriert.
Zu einer weltweiten "Provokation" wurde die Tatsache, dass die US-Regierung auf eben
diesem Militärgelände 2001/02 ein Gefangenenlager für Terrorismus-Verdächtige
errichtet hat: nunmehr ist es von politischem Vorteil, dass hier ein "US-amerikanisches
Gelände" nicht echtes USA-Territorium ist. Denn hier gilt das Bundesrecht nicht.
(Und dass das internationale Kriegsrecht nicht gilt, ist inzwischen auch bekannt.)
Wer heute "Guantanamera" singt, dürfte kaum umhin kommen, daran zu denken,
dass dies "aus Guantánamo stammend" heißt.
"Die ganze Geschichte" aus kubanischer Sicht
von Maria Argeliavizcaino, die 2000 noch von der Internetseite "www.cuba.com" zu haben war,
inzwischen aber verschwunden ist und nur noch hier bei uns zu finden ist. Maria war die wichtigste Ideengeberin für meine Recherchen.