تك تك تك "tik tik tik ", O Süleyman!
Materialien zu einem kulturerschließenden Umgang mit einem arabischen Kinderlied
Das Original-Video ist seit 2018 gesperrt. Hier ist meine Raubkopie mit Noten und Untertiteln dieses Originals "zu pädagogischen Zwecken":
Diese Aufnahme des Liedes "tik, tik, tik" ist dem Film "Bint al-Haris" entnommen. Der Film wird derzeit (2024) in voller Länge als Youtubevideo unter https://www.youtube.com/watch?v=zOOULlx6Qhg gezeigt. Dort ist das Lied (und die entsprechende Unterrichtssituation) ab 30min:39sec zu sehen. Die Lehrerin ist die Sängerin Fairouz. Weitere Information zu Fairouz und diesem Film aus dem Jahr 1968 weiter unten.Noten mit sing- und spielbarer Übersetzung. Daneben (bzw. darunter) wörtliche Übersetzung:
تك تك تك يام سل
يمان تك تك تك جوزك
وين كان
tik tik tik, oh Süleymans Mutter, tik tik tik, wo war dein Mann?
تك كان بالحقله
عم يقطف خوخ و رمان
tik tik tik. Er war in dem Obstgarten. Er hat Pfirsiche und Granatäpfel gepflückt.
Strophe 1
يا ستي يا ست بدور شوفي القمر كيف بيدور
Oh, meine Oma Frau Budor. Guck mal wie der Mond gesponnen ist.
و الناطوره بدا شمس
و الشمس بعقد المرجان
Und die Garde braucht die Sonne, aber die Sonne ist in dem Kragen der Korallen.
Strophe 2
عمي يا عم الحطاب
خلينا نلعب عالباب
Oh, mein Onkel… des Holzfällers Onkel, lass uns an der Türe spielen
و الجاره بدا قمحه
و القمحه عند الطحان
und die Nachbarin braucht den Weizen und der Weizen ist beim Müller
Strophe 3
يا جدي يا جد التلج لحيتك غطت عالمرج
Oh, mein Opa… der Opa des Schnees, dein Bart hat die Wiese gedeckt,
و الهوا بدو خيمه و الخيمه بدا خيطان
die Luft sucht sich ein Zelt, aber das Zelt braucht Seile.
Coda
وينني الجمال يحني بالقنطره شو طعميناهن قمح و دره
Wo sind die Kamele? Da, in der Qantara. Was haben wir ihnen zu füttern? Weizen und Mais.
شو سقاينهن ميي معطره يا عمي الغراب جوزني بنتك
Was haben wir ihnen gewässert… Duft-Wasser, oh Onkel Corvus lasst mich deine Tochter heiraten.
Ablauf: Intro - Refrain (solo), Refrain (alle) - Strophe 1 - Refrain (alle) - Strophe 2 - Refrain (alle) - Strophe 3 - Refrain (alle) - Coda/Schlussteil - Refrain (alle).
Kommentar und Szenische Interpretation:
Das Lied wird der libanesischen Sänegrin Fairouz zugeschrieben (siehe unten). Der syrische Komponist Rami Chahin sagt: "dies Lied ist sehr bekannt, jeder kennt die Lieder von Fairouz, aber die Kinder verstehen den Text nicht". Ein Beweis für die Bekanntheit könnte ein Videoclip sein, auf dem ein sehr kleines Kind das Lied "tik tik tik" mit den "korrekten" Bewegungen singt: https://www.youtube.com/watch?v=cYWrLZKzqps (Kommentar in Youtube: "Zuhur enjoyed this song the most. She would bug her Auntie Belle each time she gets home from work, to get on her iPhone's GPRS and surf on YouTube for this video sang by Fairuz".)
Der Text des Liedes ist sehr kryptisch, voller Bilder und Andeutungen. Bei viel Phantasie schält sich folgende "Story" heraus, die Eike Tiedemann in der Zeitschrift "Musik in der Grundschule" 3/2016, S. 51 folgendermaßen beschrieben hat:
(Refrain) Ein junger Mann klopft bei seiner Tante an. Der Onkel ist auf dem Feld und pflückt Pfirsiche und Granatäpfel.
In den Strophen umschreibt der junge Mann, dass er heiraten will und Geld dafür braucht:
(Strophe 1) Die Felder im Winter brauchen die Sonne; genauso wie er Geld zum Heiraten braucht.
(Strophe 2) Er will mit dem Fällen von Bäumen und dem Mahlen von Korn Geld verdienen.
(Strophe 3) Er braucht Geld, um für den Winter ein Zelt oder ein Haus zu bauen.
(Strophe 4/Coda) Nun hat er endlich genug gut genährte Kamele im Stall und damit auch den Brautpreis zusammen.
Ersichtlich habe ich versucht, mit der singbaren deutsche Version, diese Story um zu setzen, ohne dass man dies noch eine "Übersetzung" nennen könnte. Die szenische Interpretation folgt dieser Idee.
Details zur szenischen Interpretation des Liedes befindet sich auf einem extra Blatt:
vollständiges Spielkonzept als pdf.
Zur Download-Seite mit allen zur szenischen Interpretation gehörenden Dateien
(Musikbeispiele, Playbacks, Noten).
Hintergrund-Information
Die libanesische Sängerin Fairouz
(geb. 1934) ist neben Oum Kulthoum die am meisten verehrte und überall
bekannte Sängerin in der arabischen Welt. Zusammen mit ihrem Ehemann 'Assy Rahbani und dessen Bruder Mansour steht sie für einen
neuen arabischen Popmusikstil, in dem "westliche" Einflüsse verarbeitet werden und der sich von der inhaltlich abgehobenen
und pathetischen Art der "Langen Lieder" von Oum Kulthoum abhebt (Arbeitsblatt, pdf). Zugleich repräsentiert sie die Tatsache, dass in den 1960er Jahren Beirut zur Metropole arabischer
Popmusik wurde und Kairo in dieser Funktion ablöste.
Der Film "Bint al-Haris" aus dem Jahr 1968 ist ein Beispiel für diesen libanesischen Stil. "Bint
al-Haris" ist die Geschichte von der Tochter eines Wachmannes, der arbeitslos geworden ist, weil es keine Kriminellen mehr im Ort gibt.
Die Tochter beschließt selbst "kriminell" zu werden, um ihren Vater wieder in Brot zu bringen. Der Film ist von d
en Rahbani-Brüdern komponiert mit Fairouz in der Hauptrolle. Man sieht und hört die Merkmale des libanesischen Stils gleich
im Eingangslied (Arbeitsblatt, pdf),
das in einer bearbeiteten Kopie unter "bint al-haris" zu sehen ist.
- kurze, liedhafte Melodien (im Gegensatz zum "langen Lied" der Ouum Kulthoum),
- lebensnahe Thematik, "ländlich" (im Gegensatz zur arabischen Liebes-Lyrik),
- nur andeutungsweise "arabesk", Verwendung westlicher Genres der U-Musik,
- liedhafter Aufbau in Perioden von 4 und 8 Takten.
- (Mit Beginn des Libanesischen Bürgerkriegs 1975 werden die Lieder von Fairouz dann politischer. Fairouz stammt aus einer christlichen Familie.)
In diesem Lied bittet Fairouz den Wind, dass er ihren Geliebten und die Seeleute wieder in die Heimat zurück bringt. Dies Lied ist inzwischen "die Hymne von geflüchteten Menschen aus dem arabischen Raum, vor allem aus Syrien. Es beschreibt auf berührende Weise die Sehnsucht nach der Heimat", schreiben Julia Erche und Alexander Jansen in ihrem 2017 erschienenen Liederbuch "Ich habe meine Musik mitgebracht. Lieder, Spiele und Geschichten von Flüchtlingskindern" (Don Bosco, München). Es heißt im Refrain: "Wind, du trägst reichen Duft, bringst die Sehnsucht mit der Luft; Wind, uns fehlt ein Teil zum Glück, führ zur Heimat uns zurück" und "Heimat, was ist geschehn, warum mussten wir nur gehn? Früher hat uns nichts getrennt, was ist es, das uns nun hemmt?"
Mashrou' Leila "Ubwa" (2009)
Das Lied "tik tik tik" wird von der libanesischen Musikgruppe Mashrou' Leila im Titel "Ubwa" ("die Bombe") aus der CD "Mashrou' Leila (2009)" zitiert. Der Titel ist 2016 nicht mehr online auf Youtube erhätlich. Hier ist der Soundtrack (aus meiner interaktiven Musik-Landkarte "Musik rund ums Mittelmeer"): Download oder Spielen (mp3).
Shirin Saad sagt 2012 zu diesem Titel: Auf "Ubwa" re-interpretiert die Band ein Volks-Kinderlied mit einem explosiven Zungenschlag. Das "tik tik tik", das im Kinderlied üblicherweise oft wiederholt wird, beschreibt jetzt das Ticken einer Bombe, die bald explodieren kann. Diese Mischung von Volkslied, Pop Rock und politischer Botschaft spricht die Jugendlichen in aller Welt, die dieser Band in den sozialen Medien folgen oder zu Konzerten kommen, an" (zitiert in Thomas Burkhalter: Local Music Scenes and Globalization. Transnational Platforms in Beirut. Routledge, New York 2013, S. 216).
Bomb
Tik tik tik em Sleiman
Tik tik tik tik boom
Tik tik tik the field blew up
Look's like there's another boom coming
The key is in the car
Stuff the corpse in the trunk
There's a martyr behind the curtain
Who wants to monopolize the market
Tik tik tik there's the athan (Gebetsruf)
Muffling the sound of the boom
And I am watching the television
My face like an owl
How am I supposed to be political
When everyone is so lazy here?
And everyone is insisting that their religion is the best color?
Mashrou' Leila wird derzeit als die "bekannteste arabische Musikgruppe" bezeichnet. Sie trat im April 2016 erstmals in Deutschland auf und gab am 5. und 6. Oktober 2016 nochmals Konzerte in Berlin und Hamburg. Ein ausführliches Interview steht auf https://www.alsharq.de/2016/mashreq/libanon/mashrou-leila-wir-sind-mehr-als-das-gegenteil-von-schweigen/ Auszüge:
Firas: Aber du musst zugeben, dass wir uns besonders deutlich äußern. Wir sind mehr
als bloß das Gegenteil von Schweigen. Aber unsere Musik deshalb als den Soundtrack des ‚Arabischen Frühlings’ zu bezeichnen ist etwas anderes.
Hamed: Definitiv! Außerdem ist der Begriff ‚Arabischer Frühling’ eine Erfindung westlicher Medien, die damit eine Reihe sehr komplizierter und höchst unterschiedlicher Ereignisse in verschiedenen Ländern verbinden und die Situation im Nahen Osten mit einem sehr einfachen Narrativ zusammenfassen wollten. Sie zeichneten das Bild des jugendlichen arabischen Mannes, der sich gegen die Regierung auflehnt. Dabei war die Realität natürlich deutlich komplexer. Selbst innerhalb einzelner Länder gab es eine Vielzahl politischer Stimmen, die sich alle zur selben Zeit Bahn brachen. In diesem Sinne gab es wohl so etwas wie ein Ereignis, aber eben keine plötzliche Ideologiewende.
Firas: Ironischerweise kommen wir noch dazu aus einem Land, in dem diese Veränderungen so gar nicht stattfanden.
Hamed: Uns fünf Männer aus der oberen Mittelschicht als Sprachrohr einer ganzen Generation zu bezeichnen, über alle Grenzen von Klasse und Gender hinweg, grenzt an Rassismus. Mindestens aber ist es eine grobe Vereinfachung.
Haig: Trotzdem stimmt es, dass viele junge Menschen von Tunesien bis Syrien unsere Musik gehört haben. Genau wie die Musik anderer junger Künstler. Für die Medien ist „Soundtrack des Arabischen Frühlings“ eben ein sexy Titel. Noch dazu für eine Band mit einem homosexuellen Leadsänger. Jedenfalls hat uns dieser Titel …
Firas: … viele Fragen beschert. Und Interviews!
In einem früheren Interview wird "Ubwa" direkt angesprochen:
Before Arab Spring, you used to lament the laziness of those unhappy with governments. I remember in your earlier song “’Ubwa,” (Trans: “Bomb”) released in 2009, you say “How am I supposed to be political when everyone is so lazy here? And everyone is insisting that their religion is the best colour.” Even after Arab Spring, do these social frustrations still exist?
The idea of the Arab Spring happened only in 2011 is a fairly Western-media dominated understanding of how the region's politics have evolved. For many Lebanese people, the Arab Spring started in 2005, with the Lebanese upheavals against Syrian political hegemony in Lebanon. Those uprisings, like many across the Middle East, ended up being fairly defeated on many fronts. I think the current status of the Arab Spring would allow more people, if anything, to relate to the sentiments of “’Ubwa.”